Georges Aperghis
— Situations, une convivialité musicale

Ich denke oft an einen Akrobaten, der von einem Seil zum anderen geht oder springt und sich im letzten Moment fängt. Diese Zerbrechlichkeit, diese Gefahr ist es, die ich suche

– Georges Aperghis

Mit dem vom Verschwinden bedrohten Begriff des convivium bezeichnet Georges Aperghis das große Gesamtwerk, das er den vierundzwanzig MusikerInnen des Klangforum Wien zwischen dem Jahresbeginn 2012 und dem Sommer 2013 auf den Leib geschrieben hat.

Das Werk verlangt eine große Bühne, auf welcher der übliche Ensembleaufbau, durchsetzt mit einem bunten Gemisch aus Fauteuils, Sitzgarnituren, Stehlampen, Bücherregalen, Esstischen, etc. eine Wohnlandschaft bildet, in der sich die MusikerInnen im Verlauf des Abends frei zu verschiedenen Formationen zusammenfinden. Die Komposition changiert während der Spieldauer von rund achtzig Minuten zwischen kammermusikalischen Partie von Solo bis Oktett, Wortspenden der MusikerInnen und der großen Ensembleform.

Das Stück stellt sich als Tryptichon dar: Der erste Teil ist ein Ensemblestück, zusammengesetzt aus Fragmenten von verschiedener Farbe und kontrastierenden Inhalten, die sich aneinander reihen oder einander überlagern, um so ununterbrochen wechselnde Polyphonien hervorzubringen.

Am Ende dieses ersten Teils scheint sich die Musik zu individualisieren; wir finden uns jetzt 24 InstrumentalsolistInnen gegenüber – und das ist der zweite Teil des Tryptichons: zusammengesetzt aus übereinandergelegten oder einzelstehenden Solos, Duos, Trios, Quartetten. Mit offensichtlicher Ungezwungenheit bewegen sich die MusikerInnen auf der Bühne, einmal, um sich von der Gruppe abzusondern und nur für sich selbst zu spielen, einmal, um wieder mit anderen in musikalischen Dialog zu treten. Einige spielen und singen zugleich, andere holen sich ein Buch, aus dem sie einen Ausschnitt laut hersagen: Wir sind nicht mehr im „Konzert“, sondern wohnen einer Soirée bei, deren MusikerInnen vergessen zu haben scheinen, dass ein Publikum sie sieht und hört. 

Auch hierbei handelt es sich um ein fragmentarisches Konstrukt: Skizzen musikalischer Portraits der Interpreten überlagern oder antworten einander wie in einem großen Gespräch. Die, die gerade nicht spielen, hören ihren Kollegen beim Spiel zu (in einem Fauteuil sitzend oder auf einem Canapé), manchmal mengen sie sich in die Musik, die gerade entsteht, manchmal kommentieren sie, manchmal sind sie einfach nur da, wie in sich selbst versunken.

Dieses organisierte Chaos strukturiert sich immer mehr zu großen, massiven Bewegungen und wir langen beim dritten Teil an, der ein Ensemblewerk ist, aber den Individualitäten Rechnung trägt, die wir im zweiten Teil gehört haben, indem es sie verstärkt und sie durch das gesamte Ensemble widerhallen lässt, um schließlich in einem ebenso unsteten wie durchdringenden Tutti zu enden.

Wie man sieht, ändert sich das Stück drei Mal. Im zweiten Satz ist es, als ob es einen Vergrößerungseffekt gäbe, als ob man an jeden Musiker heranginge, um möglichst nahe an seine Persönlichkeit zu kommen. Durch sukzessives Abdriften von meiner ursprünglichen Idee, ein concerto grosso zu schreiben, bin ich schließlich zu dieser Lösung gelangt. (Georges Aperghis)